Einzelausstellung / Solo Exhibition tEGERnsee 2016

Eröffnungsrede zur Ausstellung „Die Botschaft hinter dem Sichtbaren“

von Corinna Weiss am 22. Oktober 2016

 

„Perfekte Symbiose“ – mit diesem Bild wurden Sie heute zur Vernissage von Corinna Weiss eingeladen. Und passender Weise fasst dieses Triptychon alle künstlerischen Elemente der Künstlerin zusammen. Das Hauptmotiv ihrer Arbeiten – die Mädchen blicken mit großen Augen aus ihrer surrealen Traumwelt und nehmen aktiv Kontakt mit Ihnen auf. So mancher Betrachter fühlt sich gar unangenehm beobachtet. Genau genommen sind es keine drei einzelnen Bilder, sondern die Mädchen füllen ihre eigenen Tafelbilder aus, sind aber durch ein Dschungelartiges Ambiente in einem Bildraum miteinander verbunden. Das mittlere Mädchen ist mittels der Flügel des Paradiesvogels mit dem linken Mädchen verschmolzen. Mit dem rechten Mädchen nimmt sie durch eine Geste, durch das Reichen eines Granatapfels, Kontakt auf. Mädchen, Tiere und Pflanzenwelt gehen eine perfekte Symbiose miteinander ein, verschmelzen miteinander in ihren Formen, Farben oder Gesten. Diese künstlerischen Mittel der Kommunikation werden Sie auf allen Bildern der Künstlerin Corinna Weiss entdecken können.

 Die Mädchen, wie auch der einzige „Boy“, werden von animalischen Fabelwesen begleitet. Damit befinden sich die Werke von Corinna Weiss in einer langen Tradition, denn Tiere gibt es jeher in der Kunst. Bereits in der Höhlenmalerei der prähistorischen Urzeit bilden Tiere und überraschenderweise weniger Menschen die ersten Motive der Darstellungen, die uns von Jagd und Zauber, Lebenswelt und Magie berichten. Und gerade die Tiere in Corinna Weiss‘ Werken versetzen uns in eine Zauberwelt. Würden sie die Mädchen nicht begleiten, dann wären es Darstellungen von weiblichen Körpern in einem diffusen Farbraum. So aber bringt jedes Totem-Tier erzählerische Aspekte in das Bild. Es führt den Betrachter zur der Botschaft hinter dem Sichtbaren. 

 

 Die Fabelwesen sind zum Einen Schutz-Tiere, zum Anderen offenbaren sie Bestandteile des Mädchen-Charakters, die selbst beschützt werden müssen. In den Bildern der „Herzerinnen“ werden die Positionen des Schützens und Beschützt-Werdens deutlich. Während die eine „Herzerin“ das Hundewesen zärtlich in ihren Armen wiegt, ihm einen Schutzraum bietet, setzt sich die andere „Herzerin“ das Wesen einfach auf den Kopf und lässt sich beschützen. Dabei passt sich das Hundeartige Wesen der Form des Kopfes an und umschließt ihn wie einen Schutzhelm. Wie auf dem Bild der „perfekten Symbiose“ und noch deutlicher in „Capricciosa imperfetta“ werden die Tierwesen zum Schutzmantel der Mädchen. Wenn Sie sich die Bild-Serie der Köpfe ansehen, werden Sie feststellen, dass die Köpfe immer bedeckt sind. Verschmolzen mit Tieren, umhüllt mit Tüchern oder gar be-Hüte-t. Der Kopf ist in vielen Kulturen der Sitz der Seele, der Person, der Individualität und erhält dadurch, auch im Werk der Künstlerin Corinna Weiss, eine besondere Bedeutung. Die Tiere verkörpern diese Bedeutungen, sind symbolische Verweise und im wörtlichen Sinne Charakterisierungen.

Die „Eulenspiegelei“ ist hierfür exemplarisch. In der Geschichte des Eulenspiegels setzt der Protagonist durch seine Narreteien den Menschen einen Spiegel vor. Till Eulenspiegel war aber kein ausgewiesener Narr; tatsächlich war er seinen Mitmenschen an Geisteskraft, Durchblick und Witz überlegen. Eulenspiegels Streiche ergaben sich meist daraus, dass er eine bildliche Redewendung wörtlich nahm. Er verwendete dieses Wörtlichnehmen als ein Mittel, die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bloßzustellen und seinem Ärger über Missstände seiner Zeit Luft zu machen. Aber auf eine humorvolle Weise. Mit Humor nimmt man viel leichter Kritik an und damit ist Humor der Bruder der Weisheit. Auch Corinna Weiss spielt mit den Bildtiteln und setzt tierische Symbole dem Betrachter als Spiegelbilder entgegen. Als Symbol der Weisheit sitzt die Eule auf der Schulter des Mädchens. Dieses wiederum erscheint verkleidet wie eine Papagena im Federkleid der Eule und ist doch gleichzeitig in die Farbe der Weiß-heit gehüllt. So wird das Werk zu einem bildnerischen Wortspiel.

 

Der Schalk, ein fingerzeigender Humor, blitzt aus so machen Mädchenauge hervor. Vieldeutig ist die Geste in „Affentheater“ – eine Andeutung von Erotik oder Aufforderung zur Verschwiegenheit? Das Mädchen scheint sich nicht gegen die aufdringlichen Äffchen zu wehren. Genießt sie das Affentheater oder sehen wir gar nicht ihr Gesicht, sondern versteckt sich die wahre Identität in der Maske in der Hand? Sie sehen, was ein solches Bild für Fragen, Signale, kleine Botschaften aussendet. Die Mädchen setzt Corinna Weiss bewusst in ein erzählerisches Umfeld. Sie erzeugen zusammen mit den Tieren Assoziationen von Bildern, Wörtern, Gerüche und Töne – ja ganzen Geschichten. Aber diese Geschichten müssen vom Betrachter nicht entschlüsselt werden. Vielmehr ist es die Intension der Künstlerin, dass sie bei jedem Besucher eigene Assoziationen und Erzählungen erzeugen. Farben, Tiere, Blicke regen alle Sinne an und lösen damit beim Betrachter ganz eigene Emotionen aus – initiieren eine ganz persönliche Botschaft.

 

Die Bild- Geschichten erwachen während des Entstehungsprozesses. Es gibt bei Corinna Weiss keine Skizzen zum Bild, sondern das Sujet entwickelt sich nach und nach. Für die Künstlerin transformieren sich die gemalten Figuren erst im Arbeitsprozess zu „ihren Mädchen“. Aus den Trägerinnen von Erinnerungen, Erfahrungen und Emotionen erwächst ein individuelles Mädchen und mit seiner Entstehung kristallisiert sich auch ein Bildtitel heraus, wenn sie so wollen die Überschrift der Geschichte. Wie in einer „Metamorphose“ entwickelt sich aus einer auf Tieren sitzenden Person, ein mit den Tieren verschmolzenes „Mädchen-Fabelwesen“. Dazu braucht es Zeit und daher arbeitet Corinna Weiss oft monatelangen gleichzeitig an mehreren Bildern. Diese können miteinander konkurrieren, sich gegenseitig inspirieren und werden manchmal gar zu Zwillings-Bildern wie „First Boy“ und „Heimatliebe“. Beide teilen sich den gleichen Hintergrund –eine wolkig rote Atmosphäre, die beim männlichen Protagonisten mit floralen Elementen, beim weiblichen mit Schmetterlingen angefüllt ist. Beide werden von ihrem animalischen Begleiter charakterisiert, mal als beistehendes kämpferisches männliches Pendant, mal als zärtlich innige Heimat-Liebe.

 

 Nun werden Sie sich fragen, was ist die „Botschaft hinter dem Sichtbaren“? Die eine Botschaft gibt es nicht! Ich kann Ihnen nur raten, folgen Sie dem Mädchen, das den Vorhang öffnet und Sie mit offenen Blick in „Verborgene Welten“ einlädt. Lassen Sie sich bezaubern, finden Sie ihre animalische Seite und begegnen Sie ihrem Schutz-Tier! Lassen Sie ihren Assoziationen freien Lauf, genießen Sie ihre eigene Geschichte und lauschen Sie ihrer ganz persönlichen Botschaft!

 

Ganz nach dem Motto des Schriftstellers Peter Bamm (1897-1975) „Auf den ersten Blick ist jedes Mädchen zum Verlieben schön. Auf den zweiten Blick kommt es an.“

 

 von Dr. Karin Dohrmann, Kunsthistorikerin